It’s inflation, stupid

Martin Hüfner, volkswirtschaftlicher Berater des führenden österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at, ist der Meinung, dass die Ankündigung der Notenbanken, die Zinsen schon jetzt zu erhöhen, die Märkte auf dem falschen Fuß erwischt habe. Er rechnet mit einem weiteren Ansteigen der Kapitalmarktzinsen. Funds | 27.06.2008 06:00 Uhr
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Die Zentralbanken der USA und Europas haben die Märkte in den letzten Wochen mit zwei Ankündigungen „geschockt“. Die eine war, dass sie die Zinsen erhöhen wollen. Die andere war, dass sie – vor allem die Amerikaner – nun endlich der Dollarschwäche entgegentreten wollen, notfalls auch mit Interventionen (wie es der US-Finanzminister sagte). Beides hat das Ziel, die aufkeimende Inflation zu bekämpfen. Die beiden Botschaften haben die Märkte auf dem falschen Fuß erwischt. Es kam zu hektischen Reaktionen und Bewegungen, wie sie nach der Theorie eigentlich nur alle paar Millionen Jahre passieren dürften. Vielleicht waren einige Notenbanker von ihrer Courage sogar selbst etwas überrascht. Jedenfalls ruderten einige Vertreter in den letzten Tagen schon wieder zurück und deuteten an, dass alles vielleicht doch nicht so ernst gemeint sein könnte. Worauf müssen wir uns einstellen? Gibt es eine Wende oder nur ein laues Lüftchen?

Fundamentales Umfeld hat sich verändert

Um das Ausmaß des Umschwungs zu verstehen, muss man sich die bisherigen Erwartungen in Erinnerung rufen. Bisher gingen die Märkte davon aus, dass die amerikanischen Zinsen nach der starken, teilweise dramatischen Senkung im ersten Halbjahr zunächst einmal einige Zeit unverändert bleiben würden. Erst vielleicht in einem Jahr, wenn sich auch die Konjunktur wieder erholt, könnten sie vorsichtig angehoben werden. Nach demselben Denkmuster müssten die Europäische aber auch die Schweizer Notenbank erst einmal die Zinssenkung in den USA nachvollziehen, wenn auch nicht in demselben Maße. Eine erneute Anhebung wäre frühestens Ende nächsten Jahres zu erwarten.

Warum soll das jetzt alles nicht mehr richtig sein? Ganz einfach, weil sich das fundamentale Umfeld verändert hat. In Anlehnung an den früheren amerikanischen Präsidenten Bill Clinton könnte man sagen: „It’s inflation, stupid“, höflich übersetzt: Es ist natürlich die Inflation.

Sie hat alle zyklischen Muster der Vergangenheit über den Haufen geworden. Sie ist in den letzten Monaten deutlich nach oben ausgebrochen. Sie ist nicht mehr mit dem vorherigen Boom 2000/2001 zu vergleichen, sondern liegt auf dem höchsten Stand seit Sommer 1992 (für Euroland). Das ist nicht nur ein vorübergehender Ausrutscher. Vielmehr besteht die Gefahr, dass es wieder einen größeren inflationären Buckel wie nach den beiden Ölschocks in den 70er und 80er Jahren oder der Geldentwertung Anfang der 90er Jahre kommen könnte.

Nicht leicht zu verhindern...

Natürlich befinden wir uns erst ganz am Anfang einer solchen Entwicklung. Sie kann also noch verhindert werden. Leicht wird das allerdings nicht. Denn erstens steigen inzwischen die kurzfristigen Inflationserwartungen an, genau das, was man verhindern wollte. Zweitens ist die Inflationsbeschleunigung inzwischen ein weltweites Phänomen. Sie erfasst nicht nur die Industrie-, sondern auch die Schwellenländer. In England erhöhte sich die Geldentwertung zuletzt um 3,3% und es gibt viele, die mit einer weiteren Beschleunigung auf über 4% rechnen. Drittens ist die Liquiditätsausstattung in der Welt außerordentlich reichlich, sodass die Überwälzung von Kostensteigerungen relativ leicht ist. Das macht die Inflationsbekämpfung schwer. Viertens sind die Kostensteigerungen in einem konjunkturellen Abschwung erfahrungsgemäß besonders stark.

Es ist sehr schwer zu sagen, wie weit die Notenbanken mit ihrer Restriktion gehen müssen, um die Inflationsgefahren in den Griff zu bekommen. Im Sommer 1992 hatte die Deutsche Bundesbank den Diskont bis auf 8,75% hochgeschraubt (die Europäische Zentralbank gab es damals noch nicht).

Die Kapitalmarktzinsen beliefen sich auf 8% für 10jährige Bundesanleihen. So weit wird es diesmal nicht kommen. Andererseits ist die gegenwärtige Diskussion zu dieser Frage vielfach zu harmlos. Bini Smaghi aus dem Direktorium der EZB sagte etwa, dass eine Erhöhung der Zinsen um 25 Basispunkte ausreiche, um die Inflation im nächsten Jahr auf 2% zu drücken. Das glaubt ihm niemand. Es ist nur eine Beruhigungspille für die Märkte.

Neue Qualität der Inflation

Wir sollten die ursprünglichen Ankündigungen der Zentralbanken ernst nehmen. Dahinter steht eine neue Qualität der Inflation. Sie bedeuten eine Wende. Es ist die Abkehr vom bisherigen zyklischen Muster. Das wird erst vorbei sein, wenn die Inflationsgefahren gebannt sind. Niemand weiß, wann und bei welchem Zinsniveau das der Fall sein wird. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass sich Inflationserwartungen nur langsam ändern. Ein solcher Kurs der Notenbanken erfordert viel Mut und Standvermögen. Ich würde mich nicht wundern, wenn er in den Entscheidungsgremien zu einigen kontroversen Diskussionen führt. Auch in der Öffentlichkeit wird Grummeln vernehmbar sein. Freilich darf die Notenbank am Ende nicht „wackeln“. Sonst verliert sie alle Glaubwürdigkeit.

Eine solche Wende in der Geldpolitik hat erhebliche Konsequenzen und wird zu Konfrontationen führen. Die Konjunktur wird unter dieser Entscheidung leiden. Die Notenbanken haben sich im Komplex „Stagflation“ auf die Seite der „flation“ gestellt, nicht der „stagnation“. Rechnen Sie nicht damit, dass die Konjunktur von den Zentralbanken noch gestützt wird. Das muss – so wie in den USA – die Fiskalpolitik tun. Glücklicherweise ist die Konjunktur in Europa noch recht robust. Aber selbst wenn sie schwächer werden sollte, wird die EZB hart bleiben.

EZB vs. Fed

Auch in der Bank- und Immobilienkrise ist keine Unterstützung von der Notenbank mehr zu erwarten. Die Zentralbanken sind der Meinung, dass die systemischen Risiken überwunden sind. Jetzt geht es darum, dass die Kreditinstitute ihre Häuser selbst in Ordnung bringen. Sie müssen eine saubere Strategie entwickeln, die die Aktionäre überzeugt, ihnen ihr Geld anzuvertrauen. In diesem Prozess fühlen sich die Notenbanken nicht mehr in der Pflicht (es sei denn, es passieren noch außerordentliche Dinge).

Besonders spannend wird es beim Dollar. Hier ist eine Konfrontation zwischen der EZB und der Fed kaum vermeidbar. Derzeit sieht es so aus, als sei die EZB bei der Inflationsbekämpfung entschlossener als die Fed. Wenn es die Amerikaner aber ernst damit meinen, dass sie die Dollarschwäche bekämpfen wollen, dann müssen sie die Zinsen schneller und stärker als die EZB anheben. Ich bin unsicher, wie das am Ende ausgeht.

Für den Anleger heißt das: Die langfristigen Kapitalmarktzinsen werden weiter ansteigen. Renditen von 4,6% in Euroland, 3,3% in der Schweiz oder 4,2% in den USA sind verglichen mit der gegenwärtigen Inflation zu niedrig. Die Aktienmärkte hatten mit dem Abflauen der Bankenkrise gerade etwas Luft bekommen. Jetzt erhalten sie einen neuen Dämpfer. Aktien werden erst wieder grünes Licht erhalten, wenn ein Ende der Zinsanhebung absehbar ist.


Zum Autor: Dr. Martin Hüfner ist Chef-Ökonom und volkswirtschaftlicher Berater bei direktanlage.at


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