In den letzten Wochen hatten die internationalen Finanzmärkte einen Schock nach dem anderen zu verdauen. Nach dem Fall der Wall Street Investmentbanken - entweder in den Abgrund (Lehman Brothers Inc.) oder in das rettende Netz der Geschäftsbanken-Aufsicht verloren Banken das Vertrauen in das Interbanken-System und verweigerten zunehmend die gegenseitige Kreditvergabe. Dadurch kam das gesamte Refinanzierungssystem ins Stocken. Die Zentralbanken kämpfen nun seit Wochen mit massiven Ausweitungen der Kreditlinien, Senkung der Bonitätsvorgaben für Sicherheiten und Senkung der Leitzinsen.
IWF wird wieder gehört
In den Jahren der Hochkonjunktur in den entwickelten Industrieländern und in Zeiten boomender Volkswirtschaften in den Schwellenländern reduzierte sich das Aufgabengebiet des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington von Jahr zu Jahr. Wirtschaftliche Hilfs- und Stabilisierungsprogramme wurden der Reihe nach abgeschlossen.
Spätestens jedoch seit Sommer 2007 und dem Auftauchen der Subprime-Probleme sind die Experten des IWF wieder sehr gefragte Gesprächspartner von Regierungen und Finanzinstitutionen und der Anfang Oktober 2008 veröffentlichte "Global Financial Stability Report" beschreibt alle wichtigen Aspekte der aktuellen Krise sowie die möglichen Auswirkungen auf die Realwirtschaft in allen wichtigen Ländern und Regionen. Insgesamt geht der IWF von 1,4 Billionen Gesamtverlust im gesamten Bankensektor aus. Dies setzt sich wie folgt zusammen: USD 750 Mrd. Wohnimmobilien, USD 250 Gewerbeimmobilien, USD 250 Mio. Unternehmenskredite und USD 45 Mrd. Konsumkredite.
Die Billionen Dollar Frage
Während der IWF mit 1,4 Billionen Verlusten rechnet, gehen Goldman Sachs, JPMorgan und Ökonomen wie Nouriel Roubini von Verlusten bis zu 2,5 Billionen aus und Marc Faber sprach unlängst in einem Bloomberg TV Interview von bis zu 5 Billionen Gesamtverlust. Während die Rettung von LTCM vor 10 Jahren "nur" USD 3,6 Mrd. kostete, spricht man aktuell nur mehr von Billionen.
Historische Dimensionen und globale Auswirkungen
Martin Kinsler, Fondsmanager des Henderson Horizon Global Financials Fund: "Die aktuellen Entwicklungen auf den Märkten nehmen historische Dimensionen an und haben sicherlich längerfristige Auswirkungen. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers hatte die Vertrauensbasis der Anleiheninvestoren stark erschüttert - mit Folgen für die Geldmärkte. Seit Beginn der Woche sehen wir jedoch wieder eine langsame Rückkehr der Marktteilnehmer im Geld- und Kreditmarkt."
Sektor Allocation: Financials übergewichten
Auch unter turbulenten Marktbedingungen bleibt die Frage nach der richtigen Asset Allocation im Blickpunkt der Anleger. Martin Kinsler: "Zuerst müssen Investoren die wichtige Frage nach der richtigen Aktienquote beantworten. Innerhalb der Aktienquote bieten sich Finanzwerte als günstig bewertete Alternative an. Der MSCI World Financials Index hatte letztes Jahr eine Marktkapitalisierung von USD 8,8 Billionen und der aktuelle Wert liegt bei USD 4,4 Billionen, d. h. die Hälfte der Marktkapitalisierung wurde bereits verloren."
Die Empfehlung einer Übergewichtung von Finanzwerten aus der Sicht eines Fondsmanagers in diesem Sektor ist aus eigenem Interesse heraus nicht ungewöhnlich und unerwartet. Die Bewertungen der Finanzwerte sind nach Einschätzung der Henderson Analysten und Fondsmanager aktuell extrem günstig. Martin Kinsler: "Der Finanzsektor präsentiert sich heute als attraktive Kombination von Wachstum und Ertrag. Die aktuellen P/E des MSCI World Financials liegen für 2009 bei 8,0 und im MSCI World bei 9,0. Für den S&P 500 Financials ergeben sich auf Basis der aktuellen Schätzungen P/E Werte von 9,5 und für den S&P 500 P/E Werte von 10,2. Die aktuellen P/E für 2008 sind weniger aussagekräftig, da die Gewinne aufgrund der Abschreibungen und Verluste im Sektor sehr tief sind."
Sinkende Kredit-Kapazitäten bei Banken
Besonders beachten sollten Investoren auch die Entwicklung der Kreditvergabekapazitäten der Banken. Martin Kinsler: "Ein Verlust von 1 US Dollar reduziert die Kapazität der Bank um rund 10 US Dollar." Dies hat insgesamt gesehen sehr große Auswirkungen auf die Realwirtschaft. In Teilen der USA hat bereits eine scharfe Rezession eingesetzt und die Bewertungen der Unternehmen an der Börse sowie die Entwicklung der Spreads von Unternehmensanleihen zeichnen ein sehr düsteres Bild.
Umfangreichere Probleme im Gewerbeimmobilienbereich erwartet Kinsler nicht. Diese sind seiner Ansicht nach bereits in den aktuellen Kursen und Bewertungen reflektiert.
Analystenschätzungen zu hoch
Die Fondsmanager von Henderson gehen auch davon aus, dass die aktuellen Analystenschätzungen immer noch deutlich zu hoch sind. Martin Kinsler: "Wir glauben nicht an die 20 Prozent Gewinnwachstum des Konsensus, sondern rechnen eher mit 10 Prozent Gewinnrückgang."
Wendepunkt bei Finanzwerten?
Es gibt wohl kaum einen Investor, der sich in den letzten Wochen nicht mindestens einmal bezüglich des richtigen Einstiegszeitpunktes geirrt hätte. In einem stark fallenden Markt gibt es nur Verlierer. Wenn Investoren nicht vom Szenario einer absoluten Depression und einer flächendeckenden Pleitewelle ausgehen, stellt sich die Frage nach dem Wendepunkt und der Bodenbildung im Finanzsektor. Unter dem Eindruck der täglichen Meldungen fällt dies schwer. Martin Kinsler: "Wir befinden uns aktuell in einem sehr interessanten Punkt im Zyklus. Die Gewinne der Banken sind unter Druck und resultieren in extrem hohen P/E Werten für 2008 - ungefähr das 1,7 fache des breiten Marktes. Dies ist jedoch sehr oft ein guter Indikator für das Erreichen eines Wendepunktes im Zyklus. Mein Fazit ist: Die Situation ist nicht einfach - jedoch zu managen."
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