Schulden und Defizite als Problem

Regierungen hatten im letzten Jahr im Kampf gegen die Finanzkrise ihre Staatshaushalte stark belastet. Zentralbanken hatten die Geldmengen drastisch ausgeweitet. Felix Zulauf, Philipp Vorndran, Stephen King, Dr. Jens Ehrhardt, Stefan Keitel, Byron Wien und andere führende Ökonomen mit ihren Einschätzungen. Funds | 02.02.2010 04:15 Uhr
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Schulden und Defizite der Staaten, Länder und Gemeinden werden zunehmend zum Problem und zur Herausforderung für Politiker. Führend Ökonomen präsentierten im Rahmen der 25. Kapitalanleger-Tagung 2010 in Zürich ihre Einschätzungen.

Übergang von der Marktwirtschaft zur politischen Wirtschaft

Stephen King, Group Chief Economist, HSBC Bank plc: "Die Budgetdefizite in den westlichen Industrieländern explodieren. Das Problem ist, dass diese Defizite auch bereits vor Beginn der Krise sehr hoch waren. Wir befinden uns derzeit im Übergang von einer klassischen Marktwirtschaft in eine stark politisch geprägte Wirtschaft." Stephen King bezeichnet die Märkte als manipuliert und stellt eine wichtige Frage in den Raum: "Die größten Käufer und Verkäufer von Staatsanleihen sind teilweise Zentralbanken. Die Märkte sind zum Teil manipuliert. Wie sollten Anleger feststellen, dass sie einen fairen Preis bezahlen?" Stephen King geht davon aus, dass der Faktor Politik in Zukunft wichtiger werden wird. Das Problem ist auch, dass die Rückzahlung von Schulden die Wirtschaftsentwicklung bremst.

Sechs Alternativen in der Fiskalpolitik

Stephen King sieht für Regierungen sechs Optionen um die Staatshaushalte in den Griff zu bekommen: 1. Hoffen auf einen starken Aufschwung. Dies wird seiner Ansicht nach nicht eintreten, weil die letzte Rezession nicht nur zyklisch, sondern auch strukturell war. 2. Sparprogramme mit höheren Steuern und geringeren Ausgaben: dies wird für Politiker gar nicht einfach werden, 3. Nichts tun: das Ergebnis wäre eine Entwicklung wie in Japan in den letzten zwanzig Jahren, 4. Inflation zulassen: aufgrund der schwachen Wirtschaft ist dies sehr unwahrscheinlich und die Masse der Sparer würden als Wähler kein inflationäre Wirtschaftspolitik wählen, 5. Abwertung: diese Möglichkeit steht nicht vielen Ländern offen und dann stellt sich die Frage gegenüber welchen Währungen abgewertet wird, und 6. Schuldenausfall: obwohl dies in der Geschichte schon oftmals vorgekommen ist, erscheit diese Option in Europa nicht möglich - auch nicht für Länder wie Griechenland.

Zinsniveau als Risikofaktor für Staatshaushalte

Philipp Vorndran, Finanzmarkt-Stratege bei Flossbach & von Storch: "Die Schuldenlast der Staaten ist hoch. Wir befinden uns weiterhin in einem fragilen Finanzsystem. Es gibt keinen Spielraum für einen zweiten Fehler." Die Zinsenlast von Griechenland sollte vor allem auch in Abhängigkeit von unterschiedlichen Zinsniveaus betrachtet werden. Vorndran geht davon aus, dass Griechenland Verantwortung übernehmen muß: "Griechenland muß die Last seiner Fehler selbst tragen."

Vorndran: "Ganz wichtig ist die Analyse des Zinsaufwands in Prozent der Steuereinnahmen. Deutschland liegt hier als AAA Schuldner mit bester Bonität bei durchschnittlichen Zinssätzen von 3 Prozent auf die Staatsschulden bei einem Zinsaufwand von 10 Prozent der Steuereinnahmen. Die USA (3 Prozent Zinssatz) liegen bei 15 Prozent und Italien (4 Prozent Zinssatz) bei 16 Prozent, China (5 Prozent Zinssatz) im Vergleich nur bei 6 Prozent. Wenn jedoch die Zinsen auf die Staatsschulden steigen, dann erhöhen sich die Zinszahlungen drastisch. Kritisch wird es, wenn 30 Prozent und mehr der Steuereinnahmen für Zinszahlungen verwendet werden müssen. Der kritisch Zinssatz dafür liegt für Deutschland bei 8 Prozent, für USA bereits bei 6,5 Prozent und für Italien bei 7,5 Prozent sowie China erst bei 25 Prozent. Der Unterschied entsteht durch verschiedene Höhen der Staatsschulden.

US Treasuries untergewichten

Stefan Keitel, Global Chief Investment Officer der Credit Suisse: "Das Thema auf den Bondmärkten wird die Formel "Kupon minus X" und nicht Kupon plus X sein. Die US Staatsverschuldung steigt wieder und wir erwarten in den USA eine Staatsschuldenquote in Prozent des BIP in der Höhe von 85 Prozent im Jahr 2011 (Federal Debt). Wir empfehlen eine Übergewichtung von EU Staatsanleihen gegenüber US Treasuries."

Schuldenkrise ist noch nicht vorbei

Felix Zulauf, CEO der Zulauf Asset Management AG: "Das Problem ist, dass heute jedes wirtschaftliche Problem mit Gelddrucken bekämpft wird. Ich kenne keine Nation in der Wirtschaftsgeschichte, die mit Gelddrucken und chronischen Defiziten in die Prosperität gesteuert ist. Das geht nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wir befinden uns heute in einem FIAT Währungssystem, wo man die Währungen laufend abwertet."

Das Auftürmen enormer Schuldenberge ist für Zulauf die logische Folge einer seit Jahrzehnten verfehlten Wirtschaftspolitik in den Industrieländern. Die Gesamtschulden in den USA in Prozent des BIP betragen heute 368,8 Prozent (Quelle: Zulauf Asset Management AG/Ned Davis Research). Diese Daten sind jedoch auch für andere Länder sehr ähnlich.

Auswege aus der Schuldenkrise?

Felix Zulauf: "Die Frage ist, wie wir von diesem Schuldenberg wieder herunterkommen. Wenn wir einfach weitermachen wie bis anhin, dann gehen wir in die Hyperinflation. Wenn wir das zu korrigieren versuchen, dann brechen wir ab in die deflationäre Depression und wahrscheinlich wird die Politik versuchen weiter durchzuwursteln wie bis anhin. Sehr lange kann man das jedoch nicht machen. Es ist der Tanz auf dem hohen Seil, wo man auf der einen Seite inflationär und auf der anderen Seite deflationär abrutschen kann. Und es ist genau dieser Tanz auf dem hohen Seil, den wir heute in unseren Systemen verfolgen."

Das Schwungrad der Weltwirtschaft war immer der amerikanische Konsument. Der fällt nach Einschätzung von Zulauf jetzt aus und ist völlig traumatisiert. Ein Viertel der Hausbesitzer hat negatives Eigenkapital und ein weiteres Viertel hat nur bis zu 10 Prozent Eigenkapital.

Schuldenabbau bremst die Wirtschaft

Felix Zulauf: "Anders als der Staat beginnt sich der Privatsektor vernünftig zu verhalten und er beginnt Schulden abzubauen. Dies ist in den USA zu beobachten. Die Lage ist jedoch in vielen Ländern ähnlich. Dies wird eine Übung für noch einmal vier bis fünf Jahre sein. Das dauert. Das ist nicht nach ein oder zwei Jahren vorbei. Die Schuldenkrise ist nicht vorbei. Die beginnt eigentlich erst."

Beim Lösen der Probleme stünden die meisten Länder erst am Anfang. In den Schwellenländern gäbe es auch in Osteuropa Probleme. Japan war ein drastisches Beispiel, wo der Abbau der Schulden ("Deleveraging") die Wirtschaftsentwicklung stark gebremst hatte - wie beim Fahren mit angezogener Handbremse. Trotz nahezu Null Prozent Zinsen hätten in Japan die Unternehmen rund zehn Jahre lang netto Schulden zurückgezahlt. Das könnte den USA, UK und südeuropäischen Ländern noch bevorstehen. Ein großes Problem ist vor allem auch, dass im Falle von Japan auch das Drucken von Geld nicht mehr nützte, weil damit keine Nachfrage geschaffen werden konnte.

Risiko steigender Renditen auf Staatsanleihen

Byron Wien, Senior Managing Director, The Blackstone Group, sieht ein Risiko steigender Renditen auf Staatsanleihen in den USA. Im Rahmen der Präsentation seiner "10 Surprises of 2010" sieht er aufgrund hoher Schuldenaufnahme des U.S. Treasury und einer steigenden  Zurückhaltung von Zentralbanken beim Kauf von Staatsanleihen die Renditen von US Staatsanleihen bis Jahresende über 5,5 Prozent ansteigen.

Verpflichtungen der Staaten noch höher

Dr. Jens Ehrhardt, CEO der DJE Kapital AG: "Die Gesamtverschuldung der USA in Prozent des BIP beträgt aktuell 369 Prozent. Wir haben geschätzt, dass dies eher bei 600 Prozent liegt, wenn auch die Verpflichtungen von Medicare, Medicaid, Pensionen etc. auch noch mitberücksichtigt werden. In Griechenland wäre ein vergleichbarer Wert bei 900 Prozent. China liegt hier bei 130 Prozent und kann dadurch auch mehr stimulieren. Es ist natürlich schwierig, die Verschuldungssituation als Einflussfaktor zu timen. In den Jahren 2007 und 2008 war die Baisse vor allem in der Verschuldungskrise begründet. Die anderen Faktoren waren eigentlich nicht so negativ."

Bevölkerung gegen neue Schulden

Die Frage ist auch, ob die Staaten die Neuverschuldung laufend erhöhen können. Dr. Jens Ehrhardt: "Da spricht doch einiges dagegen - zunächst mal politisch. Die Bevölkerung in den meisten Ländern wehrt sich langsam gegen hohe Schulden, weil danach höhere Steuern befürchtet werden. Auch in den USA erinnert man sich, dass nach dem zweiten Weltkrieg die Verschuldung in den USA hochging. Um das wieder abzutragen, hatten die Amerikaner dann sehr hohe Steuern eingeführt - in der Spitze bis zu 94 Prozent. Die marginale Steuerquote war bis vor 15 Jahren bei 70 Prozent."

Schuldenabbau kann gelingen

Eine positive Einschätzung wurde zuletzt vom Chefstrategen der Vontobel Gruppe, Dr. Thomas Steinemann, vertreten: Es gibt seiner Einschätzung nach aus jüngerer Vergangenheit sehr gute Beispiele dafür, dass der Schuldenabbau sehr gut gelingen kann. Schweden habe die Schuldenquote von 1996 bis 2008 auf 47 % des BIP fast halbiert. Andere ähnlich ermutigende Beispiele lieferten Australien, Großbritannien oder Kanada. Voraussetzung, dass der Schuldenabbau gelingt, ist die Kontrolle der Ausgaben und ein Wirtschaftswachstum von mindestens 2,5 bis 3%. In dem Fall kann der Staat seinen Stab als Konjunkturtreiber an die Privatwirtschaft abgeben. Vehement sprach er sich gegen Steuererhöhungen aus. Das wäre eine unnötige Belastung. Umgekehrt sieht er aber auch die in Deutschland geplanten Steuersenkungen kritisch, weil sie in der beginnenden Erholungsphase „zu früh kommen und deshalb verpuffen“.

Wie aus den unterschiedlichen Einschätzungen hervorgeht, stehen Staaten weltweit vor sehr großen Herausforderungen. Der von Felix Zulauf zitierte "Tanz auf dem hohen Seil" wird eine besonders schwierige Übung, die Politiker, Regulatoren und die Märkte in den kommenden Monaten beschäftigen werden.

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