Brexit: Wie geht es mit Großbritannien weiter?

Die Diskussion über einen Brexit lenkt die Aufmerksamkeit laut Marino Valensise, Head of Multi Asset Group bei Baring Asset Management, unweigerlich auf die Leistungsbilanz Großbritanniens: "Im Dienstleistungsbereich, insbesondere bei den Finanzdienstleistungen, wird ein Überschuss verzeichnet, der Warenhandel ist jedoch negativ. Großbritannien importiert mehr als es exportiert." Barings | 20.05.2016 08:51 Uhr
Marino Valensise, Baring Asset Management / ©  Baring Asset Management
Marino Valensise, Baring Asset Management / © Baring Asset Management
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

"Die Folgen lassen sich nicht schönreden. Seit Kriegszeiten war die Leistungsbilanz Großbritanniens, aktuell mit einem Minus von fast 5% des BIP, nicht mehr derart negativ. Der Großteil des Defizits verteilt sich dank importierter Autos, Lebensmittel und Getränke auf die restliche EU.

Problematisch ist das Ungleichgewicht zwischen Dienstleistungen (hier wird ein Überschuss verzeichnet) und Waren (hier herrscht ein Defizit). Im Falle eines Brexit über ein neues Handelsabkommen zu verhandeln, dürfte nicht einfach werden und würde eventuell nicht einmal etwas nützen, wenn Dienstleistungen nicht einbezogen werden. Es würden zwar weiterhin Waren nach Großbritannien importiert werden, aber ohne die Möglichkeit, Dienstleistungen nach Europa zu exportieren, dürfte sich das Leistungsbilanzdefizit weiter ausdehnen.

Finanzdienstleistungen haben in der britischen Wirtschaft einen überaus hohen Stellenwert, weshalb die Konsequenzen eines Austritts aus der EU unserer Ansicht nach gravierend wären. Bisher gibt es keinen Präzedenzfall für einen Zugang zum EU-Markt im Dienstleistungssegment ohne Zahlung eines finanziellen Beitrags an die Union und ohne Einhaltung ihrer Vorschriften.

Mit den Worten Mark Carneys ausgedrückt, wurde das Leistungsbilanzdefizit Großbritanniens bisher mit „Hilfe von Fremden“ dank Kapitalzuflüssen von internationalen Investoren finanziert. In Anbetracht des bevorstehenden Referendums und vor

allem für die Zeit danach, falls für einen Austritt gestimmt wird, gibt es keine Garantie dafür, dass diese Mittel auch weiterhin zufließen.

Ein Blick auf das britische Pfund

Um Kapitalflüsse nach Großbritannien zu leiten, kann praktisch betrachtet nur ein günstigeres Pfund das Mittel der Wahl sein.

In der Vergangenheit gab es zwar kein exakt gleiches Beispiel für ein solches Ereignis, aber in bisherigen Krisenzeiten wertete das Pfund auf handelsgewichteter Basis um 15-20% ab. Uns vorliegende Recherchen legen nahe, dass das britische Pfund im Falle eines Brexit um 25-30% abwerten müsste, um Kapitalzuflüsse anzuziehen, Importe zu verlangsamen und dem Export für die britische Wirtschaft Auftrieb zu verleihen.

Allerdings stünde das britische Pfund nicht allein auf weiter Flur. Auch der Euro dürfte unserer Auffassung nach in der ungewissen Zeit nach einer Abstimmung zugunsten des Brexit abwerten, wobei das Pfund wohl die größeren Einbußen hinnehmen müsste.

Eine solch deutliche Währungsabwertung hätte natürlich auch Folgen für die britische Wirtschaft. Die Auswirkungen wären höchst inflationär. Dies wiederum würde eine Zwangslage für die Bank of England bedeuten: Sollte sie dann die Zinsen anheben, um die Inflation sowie das Risiko einzudämmen, dass sich die britische Wirtschaft abkühlt, oder sollte sie nichts unternehmen und zuschauen, wie das Inflationsniveau um bis zu 4-5% ansteigt?

Beurteilung der Anlagemärkte

Wenn Großbritannien das Leistungsbilanzdefizit in den Griff bekommen möchte, muss es globalen Investoren attraktive Risikoprämien bieten.

Ausländische Anleger halten vermehrt Staatsanleihen mit kurzen bis mittleren Laufzeiten, während britische Institutionen im Allgemeinen längerfristige Papiere halten. Somit sind Staatsanleihen mit kurzen bis mittleren Laufzeiten am stärksten von der Unsicherheit betroffen. Nach genauer Beobachtung von Krisenzeiten in der Vergangenheit würden wir die benötigte Risikoprämie auf zusätzliche 150 Basispunkte beziffern. Das ist eine enorme Korrektur. Und auch Staatsanleihen mit langen Laufzeiten sind nicht immun. Sie könnten besonders anfällig auf einen Anstieg der Inflation reagieren.

Mit Blick auf die Aktienlandschaft dürfte die Aussicht auf eine Abwertung des Pfund Vorteile für in Großbritannien notierte multinationale Unternehmen bringen, wie beispielsweise die Firmen im FTSE 100 Index, die von internationalen Einnahmen profitieren könnten. Da bisher kleine und mittelgroße Unternehmen von niedrigen Importkosten und einer starken inländischen Nachfrage profitierten, stünde dies genau im Gegensatz zu der Positionierung, die viele Investoren bislang eingenommen hatten.  Im Falle eines Brexit dürften kleinere Unternehmen unter der Kombination aus Kostensteigerungen und einer schwachen Nachfrage leiden.

Schwierige Verhandlungen

Es herrscht immer noch Verunsicherung darüber, ob das Referendum von der Regierung letztendlich als „politisch verbindlich“ angesehen wird und ob eine zweite Abstimmung in Betracht gezogen wird. Nach dem Vertrag von Lissabon hätte Großbritannien zwei Jahre Zeit, um einen geordneten Ausstieg vorzubereiten. Innerhalb dieses Zeitraums würde man versuchen, neue Bedingungen für die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU zu verhandeln.

Zweifelsohne wäre dies eine schwierige Aufgabe, insbesondere was die Verhandlung eines neuen Handelsabkommens mit der EU anbetrifft. Meiner Auffassung nach wird die EU keinen Präzedenzfall schaffen und anderen Mitgliedsstaaten signalisieren wollen, dass es leicht ist, „auszusteigen und neu zu verhandeln“.

Zugeständnisse an Großbritannien nach einem Brexit würden ein falsches Signal an andere EU-Länder senden, in denen nationalistische Bewegungen im Aufwind sind. Die Folge könnte eine politische Kettenreaktion sein, die schnell zu einer Reihe nationaler Volksabstimmungen in mehreren Mitgliedsländern führen könnte.

Was die finanziellen Verpflichtungen angeht, würde Großbritannien bei einem Austritt aus der EU einen Nettobeitrag von etwa 10 Mrd. GBP einsparen.

Allerdings müsste der Staat wahrscheinlich Branchen und Regionen unterstützen, die dann keine Förderung mehr aus den europäischen Strukturfonds erhalten und die überproportional durch Handelszölle belastet werden könnten. Auch wissen wir bislang nicht, wie hoch die Zahlungen ausfallen müssten, um dem Unternehmenssektor Großbritanniens Zugang zu den 500 Millionen Menschen der EU zu ermöglichen."

Marino Valensise
Head of Multi Asset Group
Baring Asset Management,
London

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