Das chinesische Wirtschaftswachstum lag im zweiten Quartal nach neuesten offiziellen Angaben bei 7,5 Prozent und entspricht damit gerade noch dem angestrebten Jahresziel der Regierung. Die grösste Sorge der Staatsführung unter Ministerpräsident Li Keqiang ist, dass bei einem tieferen Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit zunehmen würde und es zu Unruhen kommen könnte. Für die Finanzmärkte entsprechen 7,5 Prozent Wachstum den Erwartungen, was einer Beruhigungspille für diese gleich kommt. Für Ökologen hingegen sind 7,5 Prozent jährliches Wirtschaftswachstum die reinste Horrorvorstellung. Dies bedeutet nämlich alle 10 Jahre eine Verdopplung der Wirtschaftsleistung und damit potentiell eine Verdopplung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltverschmutzung, wenn sich die Ressourceneffizienz nicht erhöht.
Zugespitzt lässt sich sagen, dass sich China in einem Wachstumsdilemma befindet: Wächst das Land weniger als 7 Prozent drohen aufgrund steigender Arbeitslosigkeit soziale Unruhen. Wächst das Land weiter so wie bisher, stehen viele Regionen des Landes aufgrund der steigenden Umweltverschmutzung vor dem ökologischen Kollaps.
Entkopplung des Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch
Der viel beschworene Ausweg aus diesem Wachstumsdilemma wäre die Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Materialverbrauch. Somit bestünde eine Vision, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen könnte, ohne dass die ökologischen Grenzen erreicht würden.
Hier muss allerdings unbedingt zwischen relativer und absoluter Entkopplung unterschieden werden. Relative Entkopplung bezeichnet die Abnahme der ökologischen Intensität pro Einheit der Wirtschaftsleistung. In diesem Fall nehmen die Auswirkungen auf die Ressourcen und Umwelt relativ zum BIP ab. Die negativen Auswirkungen werden bei wachsendem BIP immer noch zunehmen, aber langsamer als dieses. Relative Entkopplung findet heute in den meisten Volkswirtschaften statt und ist in China Teil des Fünfjahresplanes.
Soll die Wirtschaftsaktivität allerdings nachhaltig sein, ist die absolute Entkopplung notwendig. Nur dann nehmen die negativen Auswirkungen auf die Ressourcen und Umwelt auch in absoluten Zahlen nicht zu und nur so kann sich die Welt nachhaltig entwickeln. Um abschätzen zu können, wann absolute Entkopplung eintritt, gibt es eine einfache Faustregel: Bei wachsender Bevölkerung mit steigendem Durchschnittseinkommen tritt absolute Entkopplung dann ein, wenn die Rate der relativen Entkopplung höher ist als jene des Anstiegs der Bevölkerung und der Einkommen zusammen.
Unter der vereinfachenden Annahme, dass in China die Bevölkerung stagniert und dass die durchschnittlichen Einkommen mit dem BIP steigen, muss die Zunahme bei der Ressourceneffizenz grösser sein als das BIP Wachstum. Bei einem BIP Wachstum von 7,5 Prozent reden wir also von einer Ressourceneffizienzsteigerung in der Grössenordnung von 8 bis 10 Prozent. Dies zu erreichen scheint fast illusorisch. Bisher kennen wir Ressourceneffizienzsteigerungen im Bereich von maximal 1 bis 2 Prozent. Steigerungen von 8 bis 10 Prozent erfordern den kompletten Umbau der Wirtschaft. Umweltfreundliche Sektoren müssen massiv wachsen während ressourcenintensive Industrien schrumpfen müssen.
Die Senkung der globalen Kohlenstoffintensität wurde in den letzten 20 Jahren durch Bevölkerungs- und Einkommenswachstum überkompensiert
Die Faustregel zur Entkopplung lässt sich einfach und lehrreich auch auf die globalen Kohlendioxidemissionen übertragen. Seit 1990 sinkt die Kohlenstoffintensität jährlich im globalen Mittel um rund 0,7%. Das ist beachtlich aber leider nicht ausreichend. Die Weltbevölkerung hat nämlich mit einer Rate von 1,3 Prozent zugenommen, das durchschnittliche reale Pro-Kopf-Einkommen um 1,4 Prozent. Somit haben die Effizienzgewinne nicht einmal das Bevölkerungswachstum kompensiert. Die Kohlendioxidemissionen sind um rund 2 Prozent pro Jahr (1,3%+1,4%-0,7% = 2%) gestiegen und haben damit seit 1990 zu einem knapp 50%igen Anstieg der CO2 Emissionen geführt. Politisches Ziel des UN Klimagipfels von Rio im Jahr 1992 war es allerdings, die CO2 Emissionen bis 2050 gegenüber 1990 um 50% zu senken.
Die jährliche Senkung der Kohlenstoffintensität muss um den Faktor 10 steigen
Damit die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden kann (Stabilisierungsziel von 450 ppm CO2 in der Atmosphäre) müssten bis zum Jahr 2050 die jährlichen CO2 Emissionen um durchschnittlich 5 Prozent sinken.
Unter der Annahme eines globalen jährlichen Einkommenswachstums von 1,4 Prozent, einem zukünftigen Bevölkerungswachstum von 0,7 Prozent (9 Milliarden Menschen im Jahr 2050) ist dies nur möglich, wenn die Kohlenstoffintensität ab jetzt jährlich um rund 7 Prozent abnimmt. Somit muss die Kohlenstoffintensität 10 mal schneller abnehmen als durchschnittlich in den letzten 20 Jahren.
Das Ökosystem Erde ist nicht in der Lage im Gleichgewicht zu bleiben, wenn 9 Milliarden Menschen unseren Lebensstil kopieren. Eine nachhaltige Entwicklung ist daher nur möglich, wenn die Zunahme der Ressourceneffizienz das Wirtschaftswachstum übersteigt. Dies ist aus meiner Sicht die anspruchsvollste und wichtigste Herausforderung für die Weltwirtschaft. Nachhaltige Fonds leisten einen Beitrag zur Lösung dieses Problems.
Über den Autor
Gehard Wagner versucht als Portfolio Manager und Verantwortlicher für die nachhaltigen Anlagen von Swisscanto, den Anspruch auf nachhaltiges Wirtschaften mit dem Anspruch der Kunden Geld zu verdienen, so weit wie möglich in Einklang zu bringen. Seit seiner Dissertation im Bereich Klimawandel Mitte der 90-er Jahre beschäftigt er sich mit der Frage, ob und wie der Verbrauch der fossilen Energieträger vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden kann.