"Hat Sie Ihre Vergangenheit auch schon eingeholt? In meinen Jugendjahren träumte ich sicher nicht von einer Karriere im Asset Management. Mein Herz schlug für die Welt des Theaters. An der Kanti inszenierte ich mein eigenes Stück und um die Maturazeit arbeitete ich zwei Jahre für die semi-professionelle Luzerner Wanderoperette spettacolo mobile. Wir produzierten Offenbachs Insel Tulipatan und Haydns La Canterina. Als Regieassistent war ich das Mädchen für alles, führte das Regiebuch, baute das Bühnenbild, bediente den Lichtschalter und kümmerte mich auf der Tournee um alle Problemchen – eine vorzügliche Vorbereitung auf meine aktuelle Position! Offensichtlich ist aus der Theaterkarriere nichts geworden. Der Grund: die Tenöre. Glasklare Tenor-Arien mit Hühnerhaut-Effekt bilden den Höhepunkt jeder guten Oper(etten)-Produktion. Aber auf die Dauer bringen die Starallüren, Sonderwünsche, Mimositäten und Psychosen der Tenöre jeden Regieassistenten um den Verstand. Nach zwei Tourneen begrub ich meine künstlerischen Ambitionen und stürzte mich in eine gutbürgerliche Karriere.
Nun habe ich von einem meiner Mitarbeiter folgende Episode gehört. In der Znünipause traf er eine Kollegin aus Corporate Services. Man kam ins Gespräch, in dessen Verlauf mein Mitarbeiter seinen Zuständigkeitsbereich erwähnte. Die Reaktion: “Fixed Income Portfoliomanagement? Aha, Du bist also eine dieser Divas?” Die Geschichte hat mir zu denken gegeben. Und sie erinnerte mich an die Tenöre.
Nach gründlicher Reflektion glaube ich, eine Parallele gefunden zu haben: Im PM und auf der Bühne geht es um die exakte Dosierung von Ego. Tenöre und Portfoliomanager brauchen ein überdurchschnittliches Selbstvertrauen. Selbstzweifel während der Arie stören den freien Atemflussund verwandeln Gesang in Gekrächze. Portfoliomanager brauchen ebenfalls eine hohe Dosis Selbstvertrauen, um sich regelmässig gegen den Markt zu positionieren und in einem volatilen Umfeld auch einmal an einer Wette festzuhalten. Beide stehen gut sichtbar auf der Bühne, Applaus und Buhrufen ausgesetzt. Sichtbarkeit schafft Eitelkeit (Ego). Tenöre hassen es, wenn das Bühnenlicht nicht auf sie gerichtet ist, oder wenn ihre Stimme von den Streichern übertönt wird; wir diskutieren über Performance-Reports und Roadshows. Tenöre lesen Zeitungskritiken; wir sammeln Lipper-Awards. Tenöre wollen Arien; wir wollen einen hohen Tracking Error. Zu viel Ego ist aber auch nicht gut. Drängt sich der Tenor zu stark in den Vordergrund, leidet die Qualität der Produktion. Behavioral Finance lehrt uns schon lange, dass es ohne Überwindung der Selbstüberschätzung (Ego)kein nachhaltiges Alpha gibt.
Die Hauptrolle auf der Bühne schafft Konfliktpotential mit den anderen Abteilungen. Tenöre wissen, dass das Publikum ihretwegen im Saal sitzt – und nicht wegen dem eifrig agierenden Homunkulus in der Billetkasse. Tenöre teilen darum gerne hart aus. Wehe der Violine, wenn sie den Ton verfehlt. Wehe dem Dirigenten, der das Tempo nicht hält. Oder wehe der Sopranistin, wenn sie ihren Einsatz verpasst. Tenöre machen sich mit diesem Verhalten bei ihren Kollegen nicht immer beliebt. Aber das ganze als Primadonnismus (Ego) abzutun, greift zu kurz. Gute Tenöre haben eine grosse Qualität: ein intuitives Gespür für Dramatik. Der Dirigent ist darum manchmal gut beraten, auf den Tenor zu hören. Erkennen Sie die Parallelen zum Portfoliomanagement? Ein guter Portfoliomanager erkennt sofort den Wert einer Unternehmensstrategie – eine Herausforderung für die Manager der Portfoliomanager. Und wenn eine aktive Wette einmal nicht aufgeht, singen Portfoliomanager ein bitterschönes Lamento.
Meine persönliche Schlussfolgerung: Die Regeln der Unterhaltungs-Industrie gelten auch im Portfoliomanagement."
Benno Weber, Leiter Obligationen, Swisscanto