"Volkswirtschaftlich gesehen ist die Welt in 2016 eine tiefe Welt. Rund um den Globus geben tiefes Wachstum, tiefe Inflation, tiefe Zinsen und Renditen sowie insgesamt tiefe Erträge den Ton an. In diesem Umfeld ist der Grat zwischen Wachstum und Rezession, Inflation und Deflation, Hausse und Baisse sehr schmal.
Beginnen wir mit einer kurzen Bestandsaufnahme zur europäischen Wirtschaftslage. Infolge der globalen Finanzkrise und der anschließenden Eurokrise hat sich Europa auf den Pfad der lockeren Geldpolitik begeben. Diese äußerst akkommodierende Geldpolitik kurbelt das Wirtschaftswachstum zwar an, gleichzeitig wird aber die Lage der verschiedenen europäischen Volkswirtschaften durch erhebliche politische Probleme eingetrübt. Allen voran stellt der Ausgang des Brexit-Referendums die Europäische Union vor eine nie dagewesene Herausforderung. Darüber hinaus wird in Griechenland die Schuldenfrage immer wieder aufgeschoben, in Frankreich spalten Arbeitsmarktreformen das Land, in Spanien kommt es zu Neuwahlen und auch in Italien ist die politische Situation nicht wirklich klar.
Vergleicht man die USA mit Europa, stellt man fest, dass der Konjunkturzyklus jenseits des Atlantiks weiter fortgeschritten ist. Dies geht mit einer allmählichen Wachstumsverlangsamung einher. Der Privatkonsum, der einzige Wachstumsmotor der US-Wirtschaft, wird durch einen schwächer werdenden Arbeitsmarkt gefährdet. Hinsichtlich der Politik der amerikanischen Zentralbank stellt sich daher die Frage, ob es tatsächlich eine Aufwärtsbewegung der Zinsen geben wird. Im Dezember 2015 hatte die Fed die Zinsen zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt angehoben und für 2016 wurden ursprünglich vier weitere Zinsanhebungen erwartet. Bislang sind diese Zinsanhebungen allerdings ausgeblieben. Das legt nahe, dass die Fed sich nicht ohne Weiteres vom Kurs der anderen großen Zentralbanken abkoppeln kann, die allesamt große Mengen Geld drucken. Denn diese QE-Maßnahmen wirken sich weltweit auf die Wechselkurse aus und somit auch auf den des Dollar. Genau wie eine Zinserhöhung wirkt nämlich auch ein stärkerer Dollar straffend auf die monetären Bedingungen. Dies belegt, dass die Zentralbanken heute in ihrer Geldpolitik weniger unabhängig sind. Und so wird auch die Fed bei ihrer Steuerung des amerikanischen geldpolitischen Umfelds eingeschränkt.
China wiederum kann sich ebenfalls nicht dem globalen Einfluss entziehen. Als globale Werkbank ist die chinesische Volkswirtschaft abhängig von den Aufträgen seiner internationalen Handelspartner. Diese Aufträge gingen jedoch im Zuge der globalen Finanzkrise zurück. Durch massive Kreditspritzen für die Wirtschaft sowie einen massiven fiskalpolitischen Stimulus wirkte die chinesische Regierung ihrer volkswirtschaftlichen Schwäche entgegen. Dank dieser Maßnahmen konnte sich China weitestgehend den Auswirkungen der Finanzkrise widersetzen. Allerdings wurden im Zuge dieser Kredithausse viele Überkapazitäten geschaffen und dadurch faule Kredite. Angesichts des sich abschwächenden Wachstumstrends durch den Übergang von einem durch Investitionen gestützten Wachstum zu einem Wachstum, das vom Konsum getragen wird, zeigt sich die Regierung bislang nicht gewillt, die angehäuften Probleme in Angriff zu nehmen. Im Gegenteil, sie befeuert bei zu starker Wachstumsverlangsamung die Kreditvergabe erneut. Infolgedessen vergrößern sich die Probleme mittelfristig weiter und China bleibt ein großes Risiko, das jederzeit zutage treten kann."
Yves Longchamp, Head of Research, ETHENEA Independent Investors (Schweiz) AG
Yves Longchamp ist Head of Research bei ETHENEA Independent Investors (Schweiz) AG. Mit seinem Team wertet er die makroökonomischen Zusammenhänge aus. Ihre Analysen fließen in die Investitionsentscheidungen des Fondsmanagements der Ethna Funds ein.