Interview: Wie nachhaltig ist Österreichs Fondslandschaft?

Bereits zum zweiten Mal haben der Konsumentenschutz der Arbeiterkammer Oberösterreich und die Plattform CLEANVEST.org, ein Projekt der ESG Plus GmbH, über 200 österreichische Fonds hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit untersucht. Armand Colard, geschäftsführender Gesellschafter bei ESG Plus GmbH, erklärt uns im Interview, wie es um ESG in Österreich steht. Funds | 24.11.2023 10:30 Uhr
Armand Colard, Geschäftsführender Gesellschafter bei ESG Plus GmbH / © e-fundresearch.com / M. Wiglinzki
Armand Colard, Geschäftsführender Gesellschafter bei ESG Plus GmbH / © e-fundresearch.com / M. Wiglinzki

e-fundresearch.com: Herr Colard, Ihre Plattform CLEANVEST hat nun zum zweiten Mal in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer Oberösterreich eine Untersuchung zur Nachhaltigkeit von 203 österreichischen Fonds durchgeführt. Könnten Sie uns einen Überblick über die Ziele dieser Kooperation geben und welche wesentlichen Erkenntnisse Sie daraus ziehen konnten?

Mag. Armand Colard: Das Ziel der Kooperation mit Arbeiterkammer Oberösterreich ist es, die nachhaltigsten unter den als nachhaltig deklarierten Fonds Österreichs zu finden und auszuzeichnen, also welche der 203 untersuchten Artikel 8- und Artikel 9-Fonds nach strengen ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien am weitesten vorne sind. Es geht darum für Privatinvestor:innen ein Ranking zu erstellen, an dem diese sich orientieren können. An einem Ende hat man die ESG-Champions und am anderen Ende ist Vorsicht geboten vor möglichen Greenwashing-Fällen von Fonds, die es in Sachen Nachhaltigkeit weniger ernst meinen. Natürlich hängt das von den Kriterien ab, die man anwendet. Unsere Untersuchung basiert auf den etablierten 10 CLEANVEST-Kriterien, die aus Positiv- und Negativkriterien bestehen, und wurde in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer OÖ um weitere 13 Kriterien erweitert. Insgesamt decken diese 23 Hauptkriterien der Studie bis zu 122 thematische Unterkriterien ab und können Unternehmen (Aktien, Unternehmensanleihen) und Staaten (Staatsanleihen) umfassend bewerten.

Insgesamt wurde auch heuer bestätigt, dass Fonds in der Kategorie Artikel 9 („dunkelgrün“ laut EU-SFDR) – vor allem in Zusammenhang mit dem Umweltzeichen-Siegel (UZ49) – mit durchschnittlich 89% der erreichbaren Punkte, die höchste Nachhaltigkeitsgüte aufweisen. Im Vergleich dazu weisen die Artikel 8-Fonds („hellgrün“) im Sample eine durchschnittliche Punktezahl von 72% auf (analog zur letzten Untersuchung).

Der nachhaltigste Fonds in den beiden Kategorien Gesamtfonds und Aktienfonds ist mit 100% der erreichbaren Punkte der Erste WWF Stock Environment (Artikel 9, UZ49). Die nachhaltigsten Fonds in der Anleihenfonds-Kategorie sind unisono mit 99% der erreichbaren Punkte der IQAM SRI SparTrust M (Artikel 8, UZ49) sowie der Schoellerbank Vorsorgefonds (Artikel 8, UZ49). Der nachhaltigste Fonds in der Mischfonds-Kategorie ist mit 86% der erreichbaren Punkte der Sustainable Alpha Fund (Artikel 9).

e-fundresearch.com: Die Zahl der als nachhaltig gekennzeichneten Fonds in Österreich ist von 180 im letzten Jahr auf 203 angestiegen, während die durchschnittliche Bewertung der Nachhaltigkeit praktisch unverändert geblieben ist. Was lässt sich daraus über die Entwicklung des Marktes für nachhaltige Fonds in Österreich ableiten?

Mag. Armand Colard: Insgesamt ist die Anzahl der als nachhaltig deklarierten, bewertbaren Fonds zwar gestiegen, allerdings ist die durchschnittliche Bewertung mit 72,7% beinahe gleichgeblieben und die Anzahl an Artikel 9-Fonds ist im Vergleich zum Vorjahr um vier Fonds geringer, was auf weitere Rückstufungen von Artikel 9 auf Artikel 8 zurückzuführen ist. Wir schließen daraus, dass das Angebot an ESG-Produkten in Österreich weiterhin ansteigt, die Fonds sich aber weniger oft zum strengeren Artikel 9 bekennen, weil sie vermutlich Sorge haben, dass diese Fonds von der Öffentlichkeit und der Regulatorik genauer unter die Lupe genommen werden. Dies kann allerdings zum so genannten „Green-Bleaching“ führen, das Gegenteil von Greenwashing. Also, dass man zwar mehr als gefordert macht, sich aber sicherheitshalber unter dem angestrebten Niveau einstuft. Dies ist eine generelle Entwicklung im Markt, die auf (Reputations-)Risikoüberlegungen fußt, aber langfristig der Nachhaltigkeit ebenso schadet.

Der Anteil an nachhaltigen Finanzprodukten ist im letzten Jahr, trotz der schwierigen Märkte, in Österreich weiterhin gewachsen, dies bestätigt auch der neueste FNG-Marktbericht (Forum Nachhaltige Geldanlagen 2023). In Österreich haben wir außerdem den speziellen Fall, dass seit einigen Jahren der Anteil des von Privatinvestor:innen bereitgestellten Volumens (2022: 67%) höher als das institutionelle Volumen ist. Das zeigt, dass es immer wichtiger wird auch dieses Segment entsprechend der Präferenzen stärker zu berücksichtigen. Dies ist ja seit August 2022 laut MiFID II und IDD ohnehin gefordert, allerdings zeigt sich in der Praxis, dass die derzeitigen Vorgaben zu abstrakt und unpraktikabel sind. Die meisten Fonds haben Taxonomiekonformitäts-Anteile weit unter 10%, was für Private unweigerlich die Frage nach den restlichen 90% aufwirft, und für die PAIs (Principle Adverse Impacts) gibt es noch keine ausreichende Datenbasis. Hier braucht es alternative Wege, um Private in Sachen ESG besser abzuholen.

e-fundresearch.com: In Ihrer Rolle als Geschäftsführer von ESG Plus mit der Plattform CLEANVEST sind Sie direkt an der Bewertung und Analyse von nachhaltigen Fonds beteiligt. Welche Veränderungen, sei es auf regulatorischer Ebene oder im Marktgeschehen, halten Sie für notwendig, um nachhaltige Anlagestrategien langfristig attraktiv und verbraucherfreundlich zu machen?

Mag. Armand Colard: Auf EU-regulatorischer Ebene braucht es praktikablere Lösungen, die für Finanzberater:innen anwendbar sind und von ihren privaten Kund:innen verstanden werden, sonst kann das ESG-Segment in Zukunft nicht weiter wachsen. Manche Banken haben uns bereits bestätigt, dass sie seit der Nachhaltigkeitspräferenz-Abfrage (MiFID II, seit August 2022 in Kraft) weniger ESG-Fonds verkaufen als vorher – und das, obwohl das ESG-Gesamtvolumen im Markt seither weiter angestiegen ist. Der Grund liegt darin, dass ihre Berater:innen sich nicht mehr darüber trauen. Zu groß ist die Angst vor Haftungsfragen oder fehlender Expertise. Eine Lösung könnte sein, die komplexen ESG-Thematiken in einfach verständliche Inhalte herunterzubrechen, sodass die Berater:innen diese verstehen und Ihren Kund:innen besser erklären können. Hier könnte eine EU-weite standardisierte Kennzeichnungspflicht analog zu Lebensmittelkennzeichnungen (z.B. Nährstoff-Tabellen) oder Energieeffizienzplaketten helfen. Diese muss auf den ersten Blick die wichtigsten ESG-Informationen bereitstellen und Produkte miteinander vergleichbar machen. Man könnte dies im ersten Schritt als standardisierten Gesamt-(ESG-)Score sowie für die Bereiche Umwelt und Soziales bereitstellen und hier die wichtigsten Positiv- und Ausschlusskriterien anführen (z.B. Grüne Technologien, Bildung & Gesundheit, Frei von Waffen, Frei von Atomenergie, Frei von fossilen Investments, Frei von Kinderarbeit etc.). Sicherlich keine einfache Aufgabe, aber die EU-Regulatorik muss – wenn sie Finanzströme in Richtung nachhaltiger, klimafreundlicher und sozialverträglicher Investments lenken möchte – auch für Konsument:innen verständlich sein, nicht nur für ESG-Expert:innen und institutionelle Investoren. Hier sehe ich noch sehr viel Aufholbedarf. Dies ist ein Mitgrund, weshalb wir die Studie gemeinsam mit Arbeiterkammer OÖ jährlich wiederholen, damit Privatpersonen einen Leitfaden und Vergleichsmöglichkeit für nachhaltige Fonds in Österreich haben.

Über die CLEANVEST Studie

Bereits zum zweiten Mal nehmen der Konsumentenschutz der Arbeiterkammer Oberösterreich und die Plattform CLEANVEST.org den Fondsmarkt unter die Lupe. Seit 2021 sind Fondsgesellschaften gesetzlich verpflichtet, nachhaltige Fonds auch als solche zu deklarieren. Klare Kriterien für Nachhaltigkeit fehlen dafür aber noch. Wie grün sind diese 203 Fonds in Österreich also tatsächlich?

Neue Top-Platzierung von Erste Bank

Der Aktienfonds ERSTE WWF STOCK ENVIRONMENT ist aktuell der nachhaltigste Fonds Österreichs, dicht gefolgt von den Anleihenfonds IQAM SRI SparTrust M und Schoellerbank Vorsorgefonds. Deklariert ist der Nachhaltigkeits-Spitzenreiter nach der EU-Offenlegungsverordnung – zu Recht – in der höchsten Nachhaltigkeitskategorie „Artikel 9“ (dunkelgrün). 

Das bedeutet, der Fonds verfolgt konkrete Nachhaltigkeitsziele. Nur weitere 5 Fonds gibt es in dieser Kategorie in Österreich. Die restlichen Fonds sind nach „Artikel 8“ (hellgrün) deklariert, berücksichtigen also nur Nachhaltigkeitsaspekte, ohne ausschließlichen Fokus darauf. 8 der 12 Fonds mit bester Bewertung tragen auch das österreichische Umweltzeichen (UZ49). Basis für die Bewertung waren 23 Nachhaltigkeitskriterien mit 122 thematischen Unterkriterien, die gemeinsam mit dem Nachhaltigkeits- und Fondsdaten-Analysten ESG Plus und deren Plattform CLEANVEST.org entwickelt wurden.

Green­washing oder eine Frage der Perspektive?

Der Anleihenfonds „LLB Anleihen Schwellenländer ESG T“ wirbt aktiv mit seinen Nachhaltigkeitsaspekten im Bereich Umwelt, Soziales und Governance (Environment, Social and Government, oder kurz ESG) und trägt diese deshalb sogar im Namen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass dieser Fonds wesentliche Teile seines Volumens in osteuropäische Öl- und Gas-Unternehmen investiert. Spätestens hier wird klar, dass die Perspektive von Fondsmanager:innen und die Erwartungshaltung von Konsument:innen deutlich auseinander liegen. Nach aktuellem EU-Recht ist die Vorgangsweise und Kommunikation von LLB Invest aber in Ordnung.

Tipps für die nach­haltige Fonds­ver­anlagung

  • Geben Sie Fonds, die nach „Artikel 9“ deklariert sind, den Vorzug. Davon gibt es im Moment nur wenige am österreichischen Markt. 
  • Achten Sie darauf, dass der Fonds Ihrer Wahl zusätzlich das UZ49-Siegel trägt. 
  • Berücksichtigen Sie bei der Wahl Ihres Fonds die unabhängige und strenge AK-Nachhaltigkeitsbewertung, die Sie auf www.cleanvest.org finden.

Weitere Infos: www.cleanvest.org/de/arbeiterkammer-oberoesterreich-studie/

Kurzbiografie des Gesprächspartners

Mag. Armand Colard hat Biologie und Umweltökonomie in Wien studiert und arbeitet seit 18 Jahren im Sustainable Finance-Bereich. Bevor Herr Colard ESG Plus gründete, welches sich auf ESG-, SDG- and Impact-Analysen für den Finanzsektor spezialisiert hat, war er zwischen 2005 und 2015 Leiter des Sustainable Finance-Teams des WWF Österreich. 2019 veröffentlichte ESG Plus mit CLEANVEST.org eine Transparenzplattform, die es Privatpersonen ermöglicht, Fonds und ETFs auf einfache, verständliche Weise mit persönlichen Werten in Einklang zu bringen. Es beinhaltet Kriterien wie Grüne Technologien, Kinderarbeit, fossile Energien, Waffen, Artenschutzverletzungen, Gleichstellung von Frauen etc. Ende 2022 brachte ESG Plus das Software-Tool CLEANVEST PRO auf den Markt, das es Vermögensberater:innen sowie Asset Managern und Family Offices ermöglicht, individualisierbare ESG-Reports für mehr als 5.000 Fonds and ETFs zu erstellen und herunterzuladen sowie Ihre Anspruchsgruppen und Kund:innen gemäß Ihrer ESG-Präferenzen individuell zu beraten.

Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen.
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