Könnte eine neue Bankenkrise weniger arg sein als die letzte?

Die Turbulenzen rund um die Silicon Valley Bank und Credit Suisse rufen Erinnerungen an die Krise 2008 hoch. Aber ist dieser Vergleich gerechtfertigt? Ein Gastkommentar von Dr. Manfred Drennig, Geschäftsführender Gesellschafter der PRIVATCONSULT Vermögensverwaltung GmbH. Markets | 18.04.2023 11:04 Uhr
Dr. Manfred Drennig, Geschäftsführender Gesellschafter, PRIVATCONSULT Vermögensverwaltung GmbH / © e-fundresearch.com / PRIVATCONSULT Vermögensverwaltung GmbH
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Nach Silicon Valley Bank und Credit Suisse ist die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Bankenkrise gestiegen. Aber die sollte leichter zu bewältigen sein als die letzte. Um das zu begründen, muss man zunächst die Unterschiede zur Krise von 2008 verdeutlichen.

Die damalige große Krise begann, um aus einem komplexen Wirrwarr nur das Schlimmste herauszugreifen, mit der Refinanzierung nachrangiger Hypotheken durch sogenannte Mortgage backed Securities, die weltweit in großem Stil verkauft worden sind. Besonders aktiv war dabei die Investmentbank Lehmann Brothers. Lehmann musste im September 2008 mit einer Überschuldung von fast 700 Milliarden Dollar Insolvenz anmelden. Rund 12 Millionen Haushalte verloren ihre Häuser, und die Banken weltweit jede Menge Geld.

Der erste Unterschied zu heute liegt darin, dass es damals um Totalverluste ging. Das in nachrangigen Hypotheken steckende Geld war mit dem Verfall der Hauspreise endgültig verloren. Und die Banken verloren Vertrauen untereinander. Wenn Lehmann Brothers in Konkurs ging, bei wem konnte man dann überhaupt noch Geld veranlagen? Die heutigen Verluste sind dagegen meist Verluste aus der Abwertung von niedrig verzinsten Wertpapieren. Wurden sie zur Nominale erworben, dann sollten die Verluste bis Ende der Laufzeit behoben sein. Es geht dabei weltweit um enorme Beträge. Aber kostenmäßig sollten solche allmählich schwindenden Verluste längerfristig von Staaten und Notenbanken, die beide einen langen Atem haben, bewältigt werden können.

Der zweite Unterschied liegt darin, dass die Notenbanken, die Staaten und die Aufsichtsbehörden nach dem Konkurs von Lehmann auf die harte Tour gelernt haben, dass ein solcher Konkurs unabsehbare Folgen hat, weil von den Einlegern viele wegen der Verluste ihrerseits in Probleme geraten. Das Bankensystem weltweit kam ins Trudeln, Kredite wurden in einem Umfang eingefroren, der die Wirtschaft zu lähmen drohte. Der amerikanische Finanzminister sah sich genötigt, den heimischen Banken faule Wertpapiere im Ausmaß von rund 700 Milliarden Dollar (also faktisch die gleiche Höhe wie der Verlust bei Lehmann) abzukaufen und zusätzlich (letztlich vorübergehend) große amerikanische Banken zu verstaatlichen. In Deutschland musste die Kanzlerin Angela Merkel auch sofort handeln, weil ansonsten das deutsche Bankensystem zusammengebrochen wäre.

Man versteht heute besser, dass man eine große Bank nicht in Konkurs gehen lassen kann, ohne unabsehbare Folgen heraufzubeschwören. Die rasche und für Aktionäre und Inhaber von Additional Tier 1 – Papieren eher brutale Übernahme der Credit Suisse ist letztlich eine Folge dieses Wissens. Sie gehörte zu den 30 größten Banken der Welt, die international als systemrelevant angesehen wurden. Man darf deshalb für alle derartigen Fälle, sollte es zu ähnlichen Problemen kommen, mit einem entschlossenen Handeln der Notenbanken und der Staaten rechnen. Sie wissen, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt.

Aber eines ist leider nicht und durch nichts zu ändern: Banken haben ein Fristentransformations-Risiko, soll heißen, sie veranlagen geschäftsbedingt langfristig auf der Basis kurzfristiger Einlagen. Sowohl die FED als auch die EZB haben sich nicht zuletzt deshalb diesmal rasch auch zu umfangreichen Liquiditätshilfen bereit erklärt.

Banken haben auch eine Riskentransformationsfunktion: Die Einlagen bei den Banken sollen risikolos sein, die Anlagen dagegen können es nicht sein. Dieses Risiko kann durch höheres Eigenkapital einigermaßen abgesichert werden. Insofern sind die aktuellen Forderungen nach einer weiteren Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften, nicht zuletzt im Hinblick auf das in Rezessionen üblicherweise zunehmende Kreditrisiko, durchaus berechtigt. Aber der „unterirdische Schwelbrand“ im Bankensystem, von dem die New York University spricht, lauert heute in der Liquiditätsproblematik und weniger bei fehlendem Eigenkapital.

Dies umso mehr, als dass Risiko von Liquiditätskrisen allein schon wegen der technischen Entwicklung viel größer geworden ist. Ein Bankrun hat sich bisher meist nur in langen Schlangen ungeduldiger Kunden vor den Schaltern manifestiert, die dann mehr oder weniger rasch geschlossen worden sind. Heute kann jeder, der in den nicht immer zur Untertreibung neigenden sozialen Medien von Problemen seiner Bank liest, binnen Minuten seine Gelder abdisponieren. Die Obergrenze dafür, dass das viele Hunderte gleichzeitig machen, besteht meist nur in der technischen Kapazität der jeweiligen Systeme, und die steigt ständig.

Das wichtigste Kapital einer Bank ist das Vertrauenskapital, und das hängt weniger von der Höhe des Eigenkapitals ab als vielmehr von der Bonität der Aktivseite und der Seriosität der sonstigen Geschäfte. Genau dieses Vertrauen hatte die Credit Suisse selber zerstört. Man sollte vielleicht statt über quantitative Risikogrenzen, wie sie etwa im Kreditbereich bestehen, noch mehr über qualitative Beschränkungen erlaubter Geschäfte nachdenken. Murphys Law, wenn etwas schief gehen kann; dann geht es auch schief, ist zwar zynisch gemeint, hat aber einen beunruhigend wahren Kern. Dazu ein nur scheinbar weit hergeholtes Beispiel: Vor der Schlacht bei Midway im 2. Weltkrieg, die mit einem totalen Sieg der USA und dem Untergang der meisten japanischen Flugzeugträger geendet hat, haben die Japaner selber alle möglichen Ablaufvarianten durchgespielt und dabei auch genau jenes Katastrophenszenario entdeckt, das später für sie Realität wurde. Dieses Szenario wurde allerdings als zu unwahrscheinlich verworfen und bei den weiteren Entscheidungen gar nicht mehr berücksichtigt. Es gibt gute Gründe, wenigstens bei neuen hochkomplexen Produkten alle denkbaren Risikoszenarien vollständig durchzuspielen. Denn es steht einfach zu viel auf dem Spiel, um dieser Möglichkeit nicht nachzugehen. Künstliche Intelligenz könnte vermutlich relativ rasch darauf trainiert werden, für Produkte einer bestimmten Ausstattung sämtliche denkbaren Risken durchzuchecken und dann nach Wahrscheinlichkeiten zu sortieren.

Von Dr. Manfred Drennig, Geschäftsführender Gesellschafter der PRIVATCONSULT Vermögensverwaltung GmbH

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