Was uns ein Bienenparasit lehrt: Naturbedingte Risiken für Investoren und Unternehmen

Unternehmensleitungen werden hellhörig: Australische Bienenparasiten machen neue naturbedingte Risiken für Unternehmen deutlich Pictet Asset Management | 19.04.2024 09:43 Uhr
© Foto von Carolina auf Unsplash
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Der schädliche Varroa-Parasit ist eine winzige rötlich-braune Milbe, die sich von europäischen und asiatischen Honigbienen ernährt.

Er heftet sich an den Körper der Biene und schränkt ihre Fähigkeit zum Fliegen, zur Bestäubung von Pflanzen und zum Transport von Nahrung zum Bienenstock stark ein.

Bis 2022 war Australien das einzige große Land, in dem die Varroamilben die Honigproduktion und die kommerzielle Bestäubung noch nicht beeinträchtigt hatten.

Als die Varroa dann im Jahr 2023 auch Australien heimsuchte, breitete sie sich viel zu stark aus und zwang die Regierung, ihre Versuche zur Ausrottung der Milbe aufzugeben.1

Der Großteil des australischen Agrarsektors, der einen Wert von 80 Mrd. Australischen Dollar hat, ist auf nichtheimische Kulturpflanzen angewiesen, die von der europäischen Honigbiene – die im 19. Jahrhundert nach Australien kam – bestäubt werden. Mandeln, Äpfel und Avocados beispielsweise müssen bestäubt werden, um Früchte zu tragen, und bei Kulturpflanzen wie Raps, Soja und Sonnenblume steigt der Ertrag durch die Bienen.

Varroa hat das Potenzial, die Wildpopulation der europäischen Honigbienen auszulöschen, deren Bestäubung – eine wichtige Ökosystemdienstleistung – der Wirtschaft schätzungsweise 8–20 Mrd. Australische Dollar pro Jahr einbringt.2 Sollte es dazu kommen, müssen die Landwirte für die Bestäubung auf Zuchtbienen in bewirtschafteten Bienenstöcken zurückgreifen oder auf andere Kulturen umsteigen.

Infolgedessen könnten die Kosten, die den Landwirten für die Bestäubung entstehen, um 30–100% steigen. Diese Veränderungen werden sich wahrscheinlich auch auf Unternehmen auswirken, die einen Bezug zur Landwirtschaft und zum Agrarsektor haben, wie Verkehr, Lebensmittel, Tourismus und Immobilien.

In einem Ende 2023 veröffentlichten Rechtsgutachten wurden Unternehmensleiter aufgefordert, sich mit naturbedingten Risiken auseinanderzusetzen. Die Varroa und deren Folgen für die australische Honigbienenpopulation dienten dabei als Beispiel. Ein Rechtsgutachten ist eine Stellungnahme von Juristen zu verschiedenen Rechtsfragen, die den Empfängern helfen soll, rechtliche Risiken und Auswirkungen zu erkennen und zu bewerten.

„Unternehmensleiter sollten zumindest die naturbezogenen Abhängigkeiten und Auswirkungen auf das Unternehmen identifizieren und die potenziellen Risiken, die sich daraus für das Unternehmen ergeben können, einschätzen“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.3

„Unternehmensleiter, die naturbedingte Risiken außer Acht lassen, können wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht haftbar gemacht werden.“

Nicht nur Australien hat mit invasiven Arten zu kämpfen. Diese Problematik wird von Wissenschaftlern als eine der wichtigsten direkten Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt angesehen. Von braunen Baumschlangen und Reisratten bis hin zu Traubenkraut und Wasserhyazinthe – invasive, nichtheimische Arten haben schätzungsweise zu 60 Prozent der weltweit registrierten Ausrottungen beigetragen. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Schäden haben sich seit den 1970er Jahren in jedem einzelnen Jahrzehnt vervierfacht und belaufen sich laut einer Studie der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem (IPBES) der Vereinten Nationen auf schätzungsweise 423 Mrd. US-Dollar pro Jahr.4

In einem ähnlichen Rechtsgutachten wie dem australischen, das im März 2024 für England und Wales veröffentlicht wurde, heißt es: „Wir vertreten die Auffassung, dass sich naturbedingte Risiken aus rechtlicher Sicht konzeptionell nicht von anderen Arten von Risiken unterscheiden, mit denen Unternehmen konfrontiert sein können.“5

„Naturbedingte Risiken können einem Unternehmen in vielerlei Hinsicht Schaden zufügen [...] Wir sind der Ansicht, dass das Versäumnis eines Unternehmensleiters, die naturbedingten Risiken, mit denen das Unternehmen konfrontiert ist, abzumildern oder angemessen zu steuern, unter bestimmten Umständen eine Verletzung der Pflichten darstellen kann.“

Zu den Risiken, die durch Naturschäden entstehen, gehören Erosion und Überschwemmungen. Eine Ausbreitung invasiver Arten kann zu Unterbrechungen in den Lieferketten führen, den Wert naturbezogener Vermögenswerte mindern oder Reputations- und Rechtsrisiken verursachen.

Die Stellungnahme – die ein Verständnis und eine Einigung über bestimmte Rechtsfragen und deren Auswirkungen darlegt und dann häufig als Orientierungshilfe für geschäftliche oder politische Entscheidungen und manchmal auch für Gerichtsverfahren herangezogen wird – folgt einem ähnlichen Muster wie eine viel beachtete Klima-Stellungnahme.

In der Hutley-Stellungnahme aus dem Jahr 2016 heißt es, dass Unternehmensleitungen für die Offenlegung und das Management von Klimarisiken verantwortlich sind.

Heute legen die meisten großen Unternehmen, nicht nur in Australien, sondern weltweit, klimarelevante Informationen offen. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den naturbedingten Risiken zu erwarten.

Das liegt daran, dass internationale Vereinbarungen zum Schutz der biologischen Vielfalt – wie das richtungsweisende Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework von 2022 – und die von der Taskforce for Nature-Related Financial Disclosures und anderen Organisationen entwickelten Standards für die Unternehmensberichterstattung die Unternehmen anhalten, naturbezogene Risiken nicht nur offenzulegen, sondern auch ihre Fähigkeiten zur Bewertung, Abschwächung und Anpassung an diese Risiken zu verbessern.

Diese Bemühungen dürften sich beschleunigen, da auch die Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden zunehmend erkennen, dass der Naturverlust eine Quelle systemischer Risiken für Finanzsysteme und Volkswirtschaften darstellt.6

Biodiversitätsrisiken für Unternehmen

Die Varroamilbe und ihre sukzessive Ausbreitung sind ein Beispiel für ein naturbedingtes Risiko für Unternehmen, das sich von den Klimarisiken unterscheidet.

Invasionen durch fremde Arten wie die Varroa sind nur schwer rückgängig zu machen; sie können sich ausbreiten, weiterentwickeln und sind nur schwer wieder wegzubekommen, haben sie sich erst einmal eingenistet. Die Varroamilbe und die durch sie verbreiteten Krankheiten haben sich in den 1950er Jahren infolge der Ausweitung des Welthandels und der zunehmenden globalen Bedeutung der europäischen Honigbiene für die Landwirtschaft ausgebreitet.7

Der Umgang mit Naturrisiken erfordert daher ein Verständnis dafür, wie Unternehmen, die Industrie und menschliches Handeln der Entwicklung und Verbreitung dieser Risiken Vorschub leisten.

Ein sorgfältiges Management kann die Ausbreitung eindämmen und die Anpassungsfähigkeit erhöhen, wohingegen ein unkoordiniertes Management die Risiken verbreiten und die Schäden durch diese unerwünschten Invasoren vergrößern kann.

Unternehmerische Tätigkeit kann naturbedingte Risiken verstärken. Es ist davon auszugehen, dass die raschen Fortschritte in Wissenschaft und Technik – insbesondere bei der Erhebung und Überwachung von Daten über die biologische Vielfalt – dazu führen werden, dass Unternehmen aus juristischer Sicht in die Bredouille geraten werden, wenn sie durch ihre Handlungen die naturbezogenen Risiken für andere erhöhen.

Das Management naturbedingter Risiken und Chancen setzt voraus, dass Unternehmen gemeinsam mit ihren Lieferanten, Investoren, Regulierungsbehörden und Kunden neue Umweltkompetenzen entwickeln.


Derzeit versuchen australische Ermittler, anhand von DNA herauszufinden, woher die illegalen Bienenimporte stammen, die die Varroa nach Australien gebracht haben. Trotz alledem bietet die Varroamilbe auch eine Chance.

Die Varroa bedroht die europäische Honigbiene in Australien, aber es gibt dort rund 1.600 heimische Bienenarten, die einige tropische Nutzpflanzen bestäuben. Da der Fokus auf der europäischen Honigbiene liegt, ist das Potenzial dieser anderen Arten zur Bestäubung von Kulturpflanzen weitgehend unbekannt. Somit ist die Invasion der Varroa auch eine Chance, in heimische Ökosysteme und von nichteuropäischen Bienen bestäubte Kulturen zu investieren.8

Die Varroamilbe erinnert Australien und die übrige Welt zur rechten Zeit daran, dass die Auseinandersetzung mit naturbedingten Risiken und Chancen von den Unternehmen, ihren Lieferanten, Investoren, Regulierungsbehörden und Kunden verlangt, dass sie neue Umweltkompetenzen aufbauen und pflegen.

Beispielsweise sollten Unternehmen in Umweltverträglichkeitsprüfungen und ökologische Prognosen sowie den Aufbau von Fachwissen über nachhaltiges Ressourcenmanagement investieren, um solche Risiken proaktiv zu mindern und Chancen zu identifizieren.

Auch Wirtschaftsschulen und Berufsausbildungsprogramme sollten sich dahingehend weiterentwickeln, dass sie echte Fallstudien zum naturbasierten Risikomanagement in den Lehrplan aufnehmen.

Indem sich die Unternehmen das nötige Wissen aneignen und sich mit geeigneten Instrumenten ausstatten, wird nicht nur ihre Widerstandsfähigkeit erhöht, sondern auch ein Beitrag zur Schaffung einer Wirtschaft geleistet, die die Biosphäre, von der alles Leben abhängt, bewahrt anstatt sie zu zerstören.

Einblicke für Investoren

von Steve Freedman, Head of Research and Sustainability, Thematic Equities, Pictet Asset Management

  • Ob durch die Zerstörung von Lebensräumen, die Übernutzung von Arten, die Umweltverschmutzung, den Klimawandel oder die Ausbreitung invasiver Arten – der Verlust der biologischen Vielfalt bereitet Wissenschaftlern und Naturschützern schon lange Sorge. Wissenschaftliche Untersuchungen, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden, zeigen, dass sie inzwischen auch für die Bewertungen an den Finanzmärkten von Bedeutung sind. Diese Studien liefern erste Belege dafür, dass die Bewertungen börsennotierter Unternehmen mit einem grösseren Biodiversitäts-Fussabdruck nach der Verabschiedung des Global Biodiversity Framework in den Jahren 2021 und 2022 negativ beeinflusst wurden.
  • So wie der Klimawandel in den letzten zehn Jahren zu einem immer wichtigeren Faktor für die Investoren geworden ist, wird sich der Verlust der biologischen Vielfalt wahrscheinlich in eine ähnliche Richtung entwickeln.
  • Die Taskforce for Nature-Related Financial Disclosures (TNFD), eine Branchenorganisation, die Finanzinstitute und Unternehmen mit Vermögenswerten von über 20 Bio. US-Dollar repräsentiert, hat vor kurzem 14 Empfehlungen für die Offenlegung herausgegeben, die auf das Global Biodiversity Framework abgestimmt sind. Weitere regulatorische Änderungen sind zu erwarten.

1 https://www.dpi.nsw.gov.au/emergencies/biosecurity/current-situation/varroa-mite-emergency-response
2 https://www.wheenbeefoundation.org.au/wp-content/uploads/2020/02/Karasinski-JM-2018_The-Economic-Valuation-of-Australian-Managed-and-Wild-Honey-Bee-Pollinators-in-2014-2015.pdf
3 https://pollinationgroup.com/wp-content/uploads/2023/11/Joint-Memorandum-of-Opinion-Nature-related-risks-and-directors-duties.pdf
4 https://www.ipbes.net/ias
5 https://commonwealthclimatelaw.org/wp-content/uploads/2024/03/Nature-related-risks-and-directors-duties-under-the-law-of-England-and-Wales.pdf
6 https://www.ngfs.net/sites/default/files/media/2023/12/13/ngfs_nature_scenarios_recommendations_summaries.pdf
7 Traynor et al, 2020. Varroa destructor: A complex parasite, crippling honey bees worldwide. Trends in parasitology, 36(7)592-606. https://doi.org/10.1016/j.pt.2020.04.004
8 https://theconversation.com/the-feral-flying-under-the-radar-why-we-need-to-rethink-european-honeybees-207153

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