CIO Weekly | Des Rätsels Lösung?

Um die seltsame Marktentwicklung zu verstehen, muss man zweierlei bedenken: Es hätte alles viel schlimmer kommen können, und die Anleger sind defensiver, als es scheint. Neuberger Berman | 31.05.2023 14:59 Uhr
Erik L. Knutzen, CFA, CAIA, Chief Investment Officer, Multi-Asset Class, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Erik L. Knutzen, CFA, CAIA, Chief Investment Officer, Multi-Asset Class, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

Am Anfang unseres letzten Asset Allocation Committee Outlook stand letztlich die Frage, wie sich der eher schwache Konjunkturausblick mit der erstaunlich guten Marktentwicklung vereinbaren lässt.

Auch lange nach Beginn des 2. Quartals fragen wir uns das. Eine weitere Großbank ist gescheitert, den USA droht eine Schuldenkrise, und die Zinsen steigen – und doch notieren Aktien fast auf einem 7-Monats-Hoch.

Was haben wir übersehen, in der Wirtschaft oder an den Märkten, was diese offensichtlichen Widersprüche erklären kann?

Unter Druck

Immer wieder staunen wir darüber, wie viel für einen pessimistischen Aktienmarktausblick spricht.

Geldpolitik und Kreditbedingungen werden straffer, weil sich Noten- und Geschäftsbanken stärker zurückhalten. Die Zinsstrukturkurven bleiben stark invers, die Kurzfristrenditen sind noch immer sehr volatil.

Die Inflation ist hartnäckig. Das gilt für Kontinentaleuropa und Großbritannien, wo die Bank of England vor einem immer größeren Dilemma steht, und zunehmend auch für Japan. Die Geldpolitik, die wegen der Bankenkrise vor einigen Wochen noch lockerer zu werden schien, wird erneut straffer. Am Markt rechnet man wieder mit mehr Zinserhöhungen. Noch vor wenigen Wochen hatten die Bankenrettungen und die Entscheidung der japanischen Notenbank, an der Zinsstrukturkurvensteuerung festzuhalten, überraschend für Liquidität gesorgt. Doch jetzt ändert sich das und kehrt sich vielleicht sogar um.

Die tatsächlichen und prognostizierten Unternehmensgewinne fallen, und die Inflation dämpft die Gewinnmargen.

All das hat das Rezessionsrisiko in den USA den gängigen Indikatoren zufolge auf 70% bis 80% steigen lassen. Und dabei sind die vielen exogenen Extremrisiken noch nicht einmal berücksichtigt: die Schuldenobergrenze, die Probleme im Gewerbeimmobiliensektor, die Schwierigkeiten der Regionalbanken, die Folgen einer Normalisierung der japanischen Geldpolitik und eine mögliche Eskalation der Spannungen zwischen den USA und Russland sowie China.

Und doch steigen Aktien langsam, aber sicher weiter. Vielleicht am interessantesten ist, dass die reale US-Zehnjahresrendite in den letzten Tagen auf 1,5% gestiegen ist, ähnlich wie im Februar. Damals fiel der S&P 500 Index in sechs Wochen um 8%, aber diesmal bleibt der Markt unbeeindruckt.

Ausgangspunkt

Erklären lassen sich diese Unterschiede vielleicht mit verschiedenen Ausgangssituationen – aber auch damit, wohin die Reise vermutlich geht.

Es stimmt, dass Noten- und Geschäftsbanken Wirtschaft und Märkten Liquidität entziehen. Aber die Liquidität war außerordentlich hoch, und sie ist es noch immer. Vielleicht geben die Verbraucher wegen der Inflation etwas weniger Geld aus, aber die Beschäftigung ist stabil, und die Löhne steigen. Geld ist vorhanden, und die Sparkonten der Wohlhabenderen sind nach wie vor gut gefüllt. Die Unternehmen sind durchweg nicht überschuldet und müssen sich auch nicht kurzfristig refinanzieren. Und der Fiskalimpuls bleibt positiv, auch wenn die Geldpolitik restriktiver wird.

Auch darf man nicht vergessen, dass – so schlecht manches scheint – es noch viel schlimmer hätte kommen können.

Sicher, die Inflation ist hartnäckig. Aber was wäre gewesen, wenn all die guten Nachrichten über den Neustart Chinas und die stabilen Arbeitsmärkte schon zu Jahresbeginn gekommen wären? Hätten Sie das wirklich gut gefunden, oder hätten Sie vor allem steigende Rohstoffpreise und eine noch höhere Inflation befürchtet?

Man kann es also auch anders sehen. Die Zinsen hätten noch sehr viel mehr steigen können, und Unternehmen wie Verbraucher hätten sehr viel stärker reagieren können, als sie es dann taten. Wirklich zinssensitiv waren aber die Banken – doch da standen die Notenbanken bereit und griffen ein, um die Extremrisiken zu beseitigen. Vielleicht wird den Anlegern jetzt bewusst, dass dieser Konjunkturzyklus längst nicht so volatil wird, wie noch vor neun Monaten befürchtet.

Signale

Auch die Marktsignale können helfen, das Rätsel zu lösen.

Die Investoren scheinen angesichts der Rezessionssignale und Extremrisiken überraschend ruhig, aber das kann täuschen.

Vor einem Monat berichtete ich über den Gegensatz zwischen der geringen Aktienmarktvolatilität und der außerordentlich hohen Volatilität am Anleihenmarkt. Zwei Wochen später schrieb Joe Amato seine „Geschichte zweier Indizes“. Er verwies darauf, dass eine Handvoll Mega Caps aus dem Technologiesektor den S&P 500 bestimmen und der Index vielleicht teurer und stärker erscheint, als er wirklich ist. Letzte Woche hat die Aktie von NVIDIA nach extrem optimistischen Analystenerwartungen an nur einem Tag um fast 25% zugelegt, nachdem sich ihr Kurs seit Jahresbeginn schon mehr als verdoppelt hatte.

Tatsächlich sind Faktor- und Sektorvolatilität zurzeit sehr hoch, aber die Dominanz dieser hoch kapitalisierten Technologieaktien verdeckt das. Am Markt schätzt man die Konjunktur sehr viel schwächer ein, als der Indexertrag vermuten lässt.

Warum scheint die unsichere Wirtschaftslage dieser kleinen Gruppe von Technologiewerten nichts anhaben zu können? Vielleicht liegt es an den Fortschritten der Künstlichen Intelligenz. Weil sie plötzlich in aller Munde sind, könnten Investoren Ausschau halten nach möglichen Profiteuren dieses grundlegenden Wandels.

Möglicherweise werden die Mega Caps zurzeit aber auch wie sichere Häfen gehandelt, weil man an klassischen sicheren Häfen wie US-Staatsanleihen und dem US-Dollar zweifelt. Wie Raheel Siddiqui in seinem jüngsten Equity Market Outlook schrieb, lagen seit Jahresbeginn nicht etwa die Faktoren Growth oder Value vorn, sondern Qualität, niedriges Beta und niedriges Risiko – und das stilunabhängig.

Vielleicht machen sich die Investoren sehr viel mehr Sorgen, als es scheint.

Unterschiedliche Dynamiken

Denkbar ist auch, dass sich unterschiedliche Entwicklungen mischen. Die Weltwirtschaft hätte angesichts der Lage zum Jahresende noch sehr viel schwächer sein können, und die Investoren sind sehr viel defensiver positioniert, als es scheint.

So gesehen müssen wir vielleicht neu darüber nachdenken, was Qualität und sichere Häfen ausmacht. An unserem Ausblick hat sich aber nichts Grundlegendes geändert. Jetzt ist nicht die Zeit für generell hohe Aktienmarktrisiken. So sehen wir es, und der Markt scheint sich mit uns einig. Wir glauben nicht, dass man mit einer langen Duration in den nächsten Marktzyklus gehen sollte. Je besser die Wirtschaft mit hohen Zinsen fertig wird, desto wahrscheinlicher ist, dass sie hoch bleiben. Und da die Kurzfristzinsen recht hoch sind, kostet Abwarten nicht viel – selbst wenn man gelegentlich frustriert ist.

Von Erik L. Knutzen, CFA, CAIA, Chief Investment Officer - Multi-Asset Class, Neuberger Berman

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