Klimazertifikate im Nachhaltigkeits-Rating

Für die einen ein wesentliches Steuerungsinstrument, um eines unserer drängendsten Probleme zu mildern - die Klimakrise. Für andere ein Lösungsansatz, der Umweltzerstörung legitimiert und die existierende Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter zu verschärfen droht. Research | 01.08.2023 09:00 Uhr

Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen rund um Kompensationsmechanismen: Zum einen den staatlich organisierte Emissionshandel, wo vor allem die Programme der Europäischen Union, Chinas sowie verschiedener US-Bundesstaaten bekannt sind. Auf der anderen Seite existiert eine Vielzahl an Anbietern freiwilliger Klimazertifikate. Beide haben in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen.

Seit 2021 erstellt die rfu Nachhaltigkeitsratings für Handelssysteme und Produkte, denen als Gegenwert eine Tonne CO2 gegenübersteht. Diese Tonne kann das "Recht zu Emittieren" darstellen (Emissionshandel) oder ein Versprechen, dass die Tonne an anderer Stelle eingespart wird (CO2-Kompensation). In einem ersten Schritt wurden ausschließlich wichtige Vertreter der erstgenannten Kategorie vergleichen: European Emission Allowances (EUA), California Carbon Emission (CCA) und die nordostamerikanische Regional Greenhouse Gas Initiative (RGGI). Wie die nachstehende Grafik zeigt, liegen die Ratings nur im leicht positiven Bereich der rfu Skala, und RGGI sogar nur knapp.

Warum Klimazertifikate, trotz ihrer auf den ersten Blick explizit ökologischen Ausrichtung, derzeit noch keine besseren Bewertungen erzielen, versuchen wir nachstehend zu beleuchten.

Klimazertifikate und die rfu Ratinglogik: eine erste Annäherung

Es war nicht so einfach unser für Rohstoffe konzipiertes Bewertungsmodell auf Klimazertifikate zu übertragen und die Annäherung geschah entlang folgender Kernfragen: Wie effektiv trägt das Steuerungsinstrument dazu beiträgt den 1,5 Grad Pfad zu erreichen? Wie hoch sind die finanziellen Erlöse und wie sinnvoll werden diese eingesetzt? Sofern Offset-Projekte zulässig sein, wird deren soziale und ökologische Qualität sowie die Gestaltung hinsichtlich Transparenz, Zusätzlichkeit, Permanenz und Vermeidung von Doppelzählungen untersucht.

1,5 Grad tauglich?

Die von uns untersuchten Emissionshandelssysteme sind sogenannte Cap&Trade Systeme. Die Gesamtmenge an Emissionen wird durch eine limitierte Anzahl an Zertifikaten gedeckelt und im zeitlichen Verlauf reduziert. Um die Gestaltung zu beurteilen ist es wesentlich, welcher Anteil der Treibhausgasemissionen überhaupt abgedeckt sind. Hier finden sich bereits signifikante Unterschiede: CCA: 75%; EUA: 38%; RGGI: 14%.

Die Qualität kann kaum unabhängig vom Kontext der jeweiligen Rahmenbedingungen beurteilt werden: Wie hoch sind die lokalen Emissionen? Sind dazugehörige Maßnahmen konsistent mit den Klimazielen der Region? Liegen die lokalen Klimaziele und die Cap&Trade-Reduktion auf einem aus globaler Sicht fairen Emissionspfad?

Anfangs wurde der Emissionshandel für seine Gestaltung kritisiert (beispielsweise für eine Kompensation außerhalb der EU oder die Zuteilung von Gratiszertifikaten). Zug um Zug wurden strengere Regeln angewandt. Ab 2027 sollen unter dem "EU ETS 2" auch Gebäude und Mobilität in den Handel integriert werden.

The Polluter Pays Principle

Der Emissionshandel setzt an der Vergesellschaftung ökologischer Schäden an, indem er die Kosten für die Schäden - sogenannte Externalitäten - von den Verursachern einholt. Diese Mittel werden - im besten Fall - für sozialen Ausgleich oder die ökologische Transition verwendet. Um Zertifikate in ihrer Nachhaltigkeitsqualität zu vergleichen, orientieren wir uns an folgenden Fragen: Wie hoch sind die Einnahmen? Wofür werden sie verwendet? Aber auch Fairness-Fragen: Wer bekommt eine Gratiszuteilung und welche Konsequenzen hat ein Nicht-Einhalten? Auch hier findet man teils große Unterschiede. EU ETS und das California Cap-and-Trade Programm haben im Jahr 2022 zwischen 75 und 100 Euro pro Bürgerin und Bürger eingebracht, wogegen bei RGGIs der Wert unter 20 Euro liegt.

Vom Preis und der Ethik des Kompensierens

Der wesentliche Steuerungseffekt des Emissionshandel ist der Preis. In den letzten Jahren konnten (endlich) teils deutliche Preissteigerungen beobachtet werden. Zertifikate des Europäischen Emissionshandels sind von rund 20 Euro in 2020 auf knapp 100 Euro in 2023 gestiegen. Kalifornische CCAs liegen seit Beginn 2022 im Durchschnitt bei rund 30 Euro, RGGIs kosten grob 15 Euro.

Um diese Preise in Kontext zu setzen, sollen sie mit den gesellschaftlichen Kosten der Auswirkungen vergleichen werden. Im "Nature"-Magazin wurden die globalen Folgekosten einer Tonne CO2 mit rund 185 Dollar beziffert, das deutsche Umweltbundesamt rechnet mit 237 Euro. Das bedeutet, es klafft eine große Lücke zwischen dem Schaden und dem derzeitigen finanziellen Ausgleich. Stellen Sie sich vor, eine Person zerstört - wissentlich - ihr Haus oder ihre Wohnung. Als Ausgleich dafür stellt Ihnen die Person eine Gartenlaube zur Verfügung. Die Tat an sich, könnte noch als Ausreißer interpretiert werden. Schwerer wiegt für uns, dass wir uns als Gesellschaft auf diese Art des Schadensausgleich verständig haben. Diese überspitzte Analogie zeigt, welche Logik diesen Mechanismen in ihrer derzeitigen Ausformung zugrunde liegt.

Voluntäre Offset Projekte

Freiwillige Klimazertifikate sind ein eigener Markt mit einer riesigen Anzahl an Kompensationsmechanismen und Anbietern. Aus monetärer Perspektive entsprechen diese nur einem Bruchteil des staatlichen Emissionshandels. In der kommenden Zeit werden wir erstmals und selektiv auch Anbieter und Standards freiwilliger Kompensationsmechanismen analysieren (z.B. Verified Carbon Standard und Gold Standard) und diese in Vergleich zum Emissionshandel setzen.

Häufiger Bestandteil vieler Offsetprojekte ist, dass Menschen oder Organisation aus wohlhabenderen Ländern Projekte finanzieren, die in Ländern des Südens, liegen. Die meisten dieser Projekte sind durchaus sinnvoll. In Frage zu stellen ist in erster Linie die Botschaft, durch günstige finanzielle Transaktionen die eigenen Klimaauswirkungen „neutralisieren“ zu können. Ein wichtiger Appell lautet, mit Begriffen wie "klimaneutral" mehr als vorsichtig umzugehen.

Von Christian Loy, Head of Research, rfu

Über die rfu:

Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.

Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds.

Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at

Über die Artikelserie "GOING GREEN":
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.

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